16/03/2016
... ein Nachruf:
Das Patagonian Adventure Race war für uns am 21.02.2016 beendet. Wir haben nur knapp die Hälfte der gesamten Strecke in 5.5 Tagen zurücklegen können. Dann fiel für uns die Zeitschranke. Dennoch sind wir mit dem was wir erreicht haben und unserer Leistung zufrieden und konnten uns im Gesamtklassement auf Platz 10 einordnen. Wir haben gute und weniger gute Momente erlebt und viel über uns selbst und unsere Leistungsfähigkeit gelernt, sowie wertvolle Erfahrungen im Adventure Racing gesammelt. Neben dem Stolz an diesem einmaligen Rennen überhaupt teilgenommen zu haben, bleibt die Enttäuschung selbiges nicht beendet zu haben. Dennoch, wir sind dankbar für diese einmalige Erfahrung und glücklich alles heil überstanden zu haben.
Wir bedanken uns bei unseren Familien und Freunden, unseren Sponsoren und Unterstützern & allen die uns auf unserem Abenteuer PER 2016 begleitet haben, sei es von Nah oder Fern.
Es folgt ein Rennbericht aus der Feder unseres Teamkapitäns André, in dem er unverfälscht unsere Eindrücke unmittelbar nach dem Rennen niedergeschrieben hat:
„ ...trinke gerade Cola und esse dazu Schokoladenkekse. Herrlich. Noch vor 1h saß auf der Ladefläche eines kleinen LKWs, der Yvonne, Alex, Wolfgang und mich von Rio Primero (Checkpoint7) nach Puerto Natales gebracht hat. Nach 6 Tagen Kampf ist Team Patagonia Germany nicht mehr Teil des Patagonian Expedition Races. Und das kam so...
TAG1 bestand zunächst aus einem 34km-Lauf am Strand der Magellanstraße. Der Sand, der starke Gegenwind und die ständig zu durchquerenden Flüsse machten die Fortbewegung schwer - aber nach ca. 6h waren wir als 5. von 18 gestarteten Teams im Zwischenziel. Dort haben wir uns umgezogen und die Mountainbikes zusammengebaut. Bei Alex fehlte die Schraube seines Schnellspanners und wir dachten schon, dass wir deswegen frühzeitig das Rennen beenden müssten. Glücklicherweise half ein örtlicher Hacienda-Besitzer mit einer Ersatzschraube weiter und so ging es auf die erste ca. 90km lange MTB-Teilstrecke von insgesamt 272km. Und es war die Hölle! Der starke Gegenwind machte uns langsam. Der Weg bestand zudem nur aus Kies und Schotter sowie vom Regen geschaffenen Bodenwellen. Die Landschaft war grau und eintönig - immerhin ging es hier durch eine Steinwüste bzw. Steppe. Auch wenn wir als 4er Team unterwegs waren, fühlte man sich ziemlich allein. Das eigentliche Problem bestand aber darin, dass wir die für 90km benötigte Zeit völlig unterschätzt hatten. Statt mit 20-25 km/h bewegten wir uns wegen des Untergrunds und des Gegenwinds mit max. 10 km/h. Wir hatten jedoch nicht Verpflegung für 9-10 Stunden Fahrt dabei - wegen unseres Paketproblems war sowieso schon extrem knapp geplant worden. So hielten uns 2 Schokoriegel und 2 Kekse pro Person am Leben. Die Kraft lies schnell nach. Immer wieder mussten wir Pausen einlegen, damit sich der eine oder andere von uns kurz von der Erschöpfung erholen konnte. Kurz nach Mitternacht hatten wir es dann endlich geschafft. Fix und fertig erreichten wir Checkpoint2. Wir "überfielen" ein noch geöffnetes Restaurant, kauften Unmengen Cola, Schokolade, Eis, Brot und waren für einen Moment sehr froh.
TAG2 ging damit weiter, dass wir an Checkpoint2 eincheckten und unseren ersten Verpflegungsbeutel entgegen nahmen. Auch diesen haben wir vor Ort noch ordentlich geplündert...mit der restlichen Nahrung, aber ohne Schlaf ging es auf die nächsten 180 Mountainbikekilometer. Die Nacht war dunkel und bitterkalt. Immer wieder haben wir kurz Rast gemacht und uns für 5-10min in unserer Kleidung an den Straßenrand gelegt, um schnell ein wenig zu schlafen und Kraft zu tanken. Meistens lies die Kälte aber keine richtige Erholung zu. Schnell saß man wieder auf dem Fahrradsessel und radelte durch die Nacht. Wieder Kiesstrecke. Wieder endlose Weiten. Wieder konstanter Wind von vorn. Durch unsere Nachtfahrt waren wir im Ranking wieder nach vorne gerutscht, aber während der kleinen Pausen passierten uns viele der zuvor überholten Teams. Egal - am Abend des zweiten Tages erreichten wir endlich als 8. Teams den Checkpoint 3 und danach Checkpoint 4. Von dort waren es "nur" noch ca. 60km bis zum Ende der Mountainbikestrecke. Doch dann das: Bei einer Abfahrt schleuderte ein Stein gegen mein Hinterrad, ein Teil der Schaltung brach weg und ich konnte nicht mehr treten. Wieder vermuteten wir das Rennende. Aber mittels eines Kletterseils konnte Wolf mich bis zum Checkpoint 5 abschleppen. Dort gab es Kaffee und motivierende Worte der Race-Veranstalter. Aber wichtiger noch: Das Fahrrad eines bereits ausgeschiedenen Teams! Da wir auch am zweiten Tag ziemlich gehungert haben, wurde beschlossen, nicht noch weiter zum Checkpoint 6 zu fahren, sondern am Checkpoin 5 zu kochen und zu schlafen. Also "fraßen" (wortwörtlich) wir in unserem Hunger wieder einen Großteil der Folgeverpflegung und legten uns für vier Stunden schlafen.
TAG3 startete mit einer schweren, weil zuvor von allen als leicht bezeichneten letzten Bikepassage. Es ging natürlich bergauf, natürlich durch Sand und Kies und natürlich war auch wieder der Wind zur Stelle. Kurz vorm Ziel kamen wir auch noch mit der Orientierung durcheinander, da wir uns nicht vorstellen konnten, dass wir mit dem Rad über Stacheldrahtzäune klettern und unendliche Wiesen durchqueren sollen. Genau so hatte es sich der Veranstalter aber vorgestellt. Glücklicherweise haben wir das Ziel dann auch erreicht. Dort wurde das Rad schnell demontiert und die Ausrüstung für die folgende zweitägige Trekkingtour über ca. 80km angepasst. Schon ging es weiter auf einer wunderbar mit roten und blauen Fahnen markierten Strecke. Immer weiter gelangten wir in die Bergwelt. Und immer mehr stimmte die vorgegebene Strecke nicht mit der Markierung überein. Aber am Checkpoint meinte man doch noch, wir könnten der Markierung folgen - der Weg wäre nicht zu übersehen. Nach 30min wurde uns die Abweichung vom Kurs zu wild und wir gingen zum ersten sinnvollen Abzweig zurück. Scheinbar waren wir einer Quad-Markierung für Touristen gefolgt und hatten so ca. 1h verloren. Ärgerlich. Nun ging es endlich ohne Markierung weiter - aber nicht auf festen Wegen, sondern bergauf und bergab durch das Gestrüpp. Man kann sich das nicht vorstellen. Für einen Kilometer braucht man 1-2 Stunden, weil man einfach nicht voran kommt. Es sieht aus, als wäre man am Ende der Welt und die Bäume und Sträucher sind eine natürliche "Stop! Nicht weiter" Beschilderung. Aber wenn man sich mit voller Kraft dagegen stemmt, geht es plötzlich doch ein paar Zentimeter tiefer in den Wald. Und so kämpft man sich eben voran. Für Stunden ging es so weiter. Wir verloren Kraft. Wegen einer erneuten Orientierungspanne war auch die Kampfeslust schnell dahin. Und auf der Strecke trafen wir jetzt immer wieder Teams, die viele Stunden nach uns den letzten Checkpoint passiert hatten. Deren Vorteile: Sie konnten sich besser orientieren und hatten vor allem eines: Nahrung! Wir hatten nämlich erneut zu wenig Verpflegung mitgenommen und fingen an zu hungern. Als die Nacht hereinbrach, wurde entschieden, dass wir diesmal nicht durchmachen, sondern für wenige Stunden schlafen. Das hieß Zelt aufbauen und schnell ins Isomatten-Bett. In der Nacht pustete der starke Wind fast das Zelt weg. Unheimlich!
TAG4 war furchtbar. Nachdem wir das mittlerweile nasse Zelt eingepackt hatten, ging es kreuz und quer durch einen kilometerlangen Wald. Es gab keinen Weg und keine Möglichkeit, schnell voran zu kommen. Wieder kämpften wir uns Schritt für Schritt durch das enge Gestrüpp. Immer wenn es ein paar Meter schneller voran ging und man Hoffnung schöpfte, stand da plötzlich eine neue grüne Wand. Wieder brauchten wir 1-2h für einen Waldkilometer. Am Nachmittag dann endlich der Durchbruch in unsere neue Umgebung: Sumpfland!!! Sumpfland muss man sich ungefähr wie ein mit Schaumgummistücken gefülltes Schwimmbecken vorstellen. Dazwischen: flache und tiefe Pfützen und Seen. Das Laufen fällt also furchtbar schwer und immer wieder steckt man knöcheltief oder bis zur Hüfte im Wasser. In dieser Gegend also verbrachten wir den Rest des vierten Tages. Die Verpflegung hatten wir mittlerweile rationiert. Mal teilten wir uns zu viert einen Müsliriegel. Mal gab es einen Kaugummi. Mal ein Stückchen Käse. Beim kilometerlangen Laufen durch diese verlassene Landschaft dachte jeder von uns deswegen ständig an Essen. Und jeder hoffte auf ein schnelles Ende dieser Strecke. Doch irgendwann war klar - am vierten Tag schaffen wir das nicht. Also wieder im Regen Zelt aufbauen und ein paar Stunden schlafen, da man in der Dunkelheit nur schlecht navigieren kann.
TAG5 begrüßte uns mit Starkregen. Zelteinpacken macht dann besonders wenig Spaß. Nach ein paar Stunden Trekking war das Sumpftalende erreicht und alle waren wieder voller Hoffnung, dass wir diese Passage bald meistern würden. Doch die Natur bzw. die Elemente meinten es danach nicht gut mit uns. Eine Steilwand musste überquert werden. Und das war eigentlich schon schwer genug - ohne etwas im Magen und den vielen "Überstunden" in den vergangenen Tagen. Aber jetzt war da auch noch dieser starke Regen, ein schwerer Sturm, der uns immer wieder von den Beinen holte und zuletzt sogar Hagelbeschuss. Ich habe im Leben keine richtige Prügel bezogen, aber in diesen Stunden hat mich die Natur windelweich gehauen. Es war hart, richtig hart. Auf der Steilwand wurde es noch härter, denn auf der anderen Seite wartete wieder Urwald und Sumpf. Der Kampf gegen Gestrüpp und Moos und Feuchtigkeit begann erneut. Auch wenn wir bereit waren, alles zu geben, schafften wir es erneut nicht ins Checkpointlager. Die fehlende Verpflegung machte uns einfach zu kraftlos und langsam. Und die Kälte und die Nässe gaben uns den Rest. Trotz des starken Regens entschieden wir gegen 21 Uhr, dass wir nicht mehr durchlaufen sondern erneut zelten würden. Es war eine schlimme Nacht. Das Zelt, der Schlafsack, die Kleidung - alles nass. Und da wir nur noch Kleinigkeiten zu essen hatten, gab es für den Körper kaum Kraftreserven zum Heizen. Es war also eine sehr kalte und nasse Nacht. Sehr, sehr kalt...
TAG6 hielt wieder Regen bereit. Außerdem mussten wir bei 5 Grad Außentemperatur in unsere nasse tropfende Kleidung steigen. Wer sich das nicht vorstellen kann, muss Jacke, Hose, Socken und Wanderstiefel nur einmal in eine volle Badewanne halten. DAS meine ich mit nass. Glücklicherweise war die Kälte und Nässe in unserer Merinowolle-Bekleidung einigermaßen auszuhalten. Icebreaker hat mit der gelieferten Kleidung wirklich ein kleines Wunder vollbracht - danke dafür! Die Sumpflöcher, Wälder und die zu durchquerenden Flüsse mit starker Strömung stellten irgendwann kein Problem mehr da. Wir sind einfach nur noch gelaufen und gelaufen und gelaufen. Und irgendwann war da ein Fjord. Und ein Zaun. Und ein Auto. Und noch eines. Und dann nach 5h - der Checkpoint. Hier hörten wir viele Schauergeschichten. Alle hatten sich bei der Streckenlänge verkalkuliert. Zu wenig Nahrung. um zehn Jahre gealterte Teilnehmer. Hubschrauerrettungsaktionen. Wir haben es auch ohne Hubschrauer geschafft, selbst wenn wieder tagelang kraftlos und auch ein wenig hoffnungslos herumirrten. Im Nachhinein können wir stolz darauf sein. Nur 10 von 18 Teams haben es so weit geschafft. Ausgeschieden sind chilenische Soldaten, polnische SpecialForces und andere Kraftpakete - Team Patagonia Germany hingegen hat die Sumpfetappe gemeistert. Da wir jedoch die Cut-Off-Zeit an dieser Stelle verpasst haben, sind wir nicht mehr im Rennen. Aber vielleicht ist es auch richtig, nicht mit einem nassen Zelt undeinem feuchten Schlafsack etc. erneut ins Hochgebirge zu starten.
So ging es also mit dem Pickup in die nächste Stadt, wo wir jetzt als Touris die Reise fortsetzen werden. Morgen starten wir mit neuer Verpflegung auf eine viertägige Bergtour durch den Nationalpark Torres del Paine. Die Ausrüstung hängt im Hotel zum trocken. Alles wird gut.“