04/03/2022
Die Architektur Irans - Einführung
Das Thema Nachhaltigkeit und Energieverbrauch spielt angesichts des Klimawandels heutzutage weltweit auch in der Architektur eine immer grössere Rolle. Die Art und Weise, welche Materialien und Formen wir für unsere Gebäude wählen, wie wir sie ausrichten, wo wir sie errichten sowie die Berücksichtigung der vorherrschenden kulturellen, sozialen und natürlichen Bedingungen, kann einen entscheidenden Einfluss sowohl auf das Wohlbefinden der Bewohnerinnen als auch auf die Energieeffizienz haben.
Moderne Tendenzen in der Architektur in den vergangenen Jahrzehnten, die unabhängig vom jeweiligen Kontext überall ähnliche Gebäude errichteten, stellen sich je länger desto mehr als problematisch heraus. Dies wird nun vor allem von jüngeren Architekt:innen mehr und mehr erkannt. Innovatives sowie energie- und ressourceneffizientes Planen und Bauen mit Berücksichtigung der ökologischen, sozio-kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor Ort ist zum Glück kein Fremdwort mehr. Im Idealfall liegt dabei der Fokus auf dem Menschen und nicht so sehr auf der Technik.
Bei dieser Entwicklung zu einem nachhaltigeren Bauen, dessen Ziel eine ganzheitliche Architektur ist, sollte die traditionelle Architektur in Altstädten und ländlichen Gebieten nicht ausser Acht gelassen werden. Denn ein vertieftes Studium der Gründe, weshalb in unterschiedlichen Weltgegenden welche Bauweisen und -stoffe, Gebäudeformen und –ausrichtungen zur Anwendung kamen, könnte einen enorm wichtigen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten. Es würde aufzeigen, wie es den Menschen in der Vergangenheit gelang, unter Bewahrung des Ökosystems und der Umwelt mit den vor Ort vorhandenen Baumaterialen und Energieressourcen sowie mit dem seit Jahrhunderten tradierten Wissen und den erprobten Fähigkeiten Bauten zu erstellen, die den herrschenden Umwelt- und Klimabedingungen sowie den Erfordernissen der Bewohnerinnen gerecht wurden. Das vorrangige Ziel war, Umweltbedingungen
ressourcenschonend zu kontrollieren und günstige Lebensbedingungen für Mensch und Gesellschaft zu schaffen.
Der Iran bietet sich bei der Erforschung der traditionellen, den jeweiligen Umweltbedingungen am besten angepassten Architektur als ideales Studienobjekt an, denn als eines der 20 grössten Länder der Erde weist der Iran eine grosse topografische und klimatische Vielfalt auf, die die Architektur in den unterschiedlichen Landesteilen entsprechend beeinflusste und, zusammen mit den lokalen Traditionen und Erfahrungen, einen grossen Reichtum an verschiedensten Gebäudeformen hervorbrachte, die vielerorts noch heute erhalten sind.
Über Jahrtausende entwickelte sich in diesem Land zwischen Wüsten, Bergketten und Gewässern eine der ältesten und wichtigsten globalen Kulturlandschaft, die Heimat grosser Zivilisationen war, deren kulturelle, wissenschaftliche und künstlerische Errungenschaften jedoch jenseits der Fachwelt noch weitgehend unbekannt ist. Wie die grossartigen Exponate der iranischen Vergangenheit, die über den Erdball zerstreut in den Museen zu besichtigen sind und ein facettenreiches Kaleidoskop kultureller Schaffenskraft städtischer Gesellschaften präsentieren, bezeugt auch die Architektur die herausragende historische Bedeutung Irans als Impulsgeber, Schmelztiegel und kulturellen Motor zwischen Afrika, Asien und Europa.
Das Land im Zentrum des Alten Orient schaut auf eine der längsten und innovativsten Architekturgeschichte der Menschheit zurück, die zumindest bis ins 7. Jahrtausend v.Chr. zurückreicht. Wobei sich diese aber nicht nur auf das heutige iranische Staatsgebiet beschränkt, sondern sich über grosse Teile Westasiens einschliesslich der Türkei, Syrien und Irak, über Usbekistan und Tadschikistan in Zentralasien bis nach Nordindien und die Grenzen Chinas sowie vom Kaukasus bis nach Sansibar erstreckt.
Ungeachtet der grossen Vielfalt an Gebäudeformen lässt sich in der iranischen Architektur, sowohl bei Wohnhäusern als auch bei Monumental- und Nutzbauten, ein unverwechselbarer Stil erkennen, der sich, trotz den wiederholten Traumas durch Invasionen und kulturelle Schocks, erhalten und sich über Jahrtausende kontinuierlich weiterentwickeln konnte. Immer wieder liessen sich Invasoren nach den durch ihre Armeen verursachten Zerstörungen von den Überresten der iranischen Hochkultur beeindrucken, übernahmen Sprache, Religion und Kultur des Landes und ordneten die Errichtung neuer, noch eindrucksvollerer Gebäude als diejenigen ihrer Vorgänger an.
Die Säulenvorhalle (oder Talar) beispielsweise, die an den Fassaden der Felsengräber der achämenidischen Könige in der Nähe von Persepolis zu sehen ist (5.Jh. v.Chr.), taucht nicht nur in safawidischen Palästen (u.a.Chehel Sotun-Palast, Isfahan, um 16.Jh.) oder denjenigen der Qajaren-Dynastie im 18./19.Jh. wieder auf, sondern auch in gewöhnlichen Teehäusern am Strassenrand und einfachen Wohnhäusern in den abgelegensten Gebieten.
In ähnlicher Weise bildete die Kuppel, die im Iran seit jeher im Fall von fehlendem Holz bei der Überdachung von kleinen Lehmhäusern zur Anwendung kam, die Grundlage für die Erfindung der Sassaniden (3. bis 7.Jh.), mit Hilfe von Ecktrompen den Übergang von einem quadratischen Unterbau zu immer grösser werdenden Kuppeln zu bewerkstelligen, die zu einem wesentlichen Merkmal der iranischen Baukunst wurden und noch heute in zahlreichen wunderschönen Moscheen und Medresen, in Heiligenschreinen (Imamzadeh) und vornehmen Bürgerhäusern im ganzen Land zu finden sind.
Auch die jahrtausendealte Tradition der Errichtung von Zikkurats (Stufenpyramiden) und Türmen in den Ebenen sowie von Feuertempeln auf den Bergen, die in den Himmel ragen, um den Menschen zu ermöglichen, einerseits den göttlichen Kräften zu opfern und ihnen nahe zu sein und andererseits zum Gebet zu rufen, dauerte bis ins 19. Jahrhundert, während der mit Pflanzen begrünte Innenhof mit seinem Wasserbecken, der abgewinkelte Eingang ins Innere eines Gebäudes und dessen umfangreiche Ausschmückung ebenso uralte, aber noch heute weit verbreitete Elemente der iranischen Architektur sind.
Gleichwohl oftmals auf Steinfundamenten erbaut, bestehen die meisten Gebäude im Iran aus Lehm, d.h. entweder aus Stampflehm oder in der Sonne getrockneten, bzw. gebrannten Lehmziegeln, die mit Lehmmörtel verlegt und mit Lehm verputzt sind. Neben den hervorragenden Dämmeigenschaften dieses Baumaterials können Lehmziegel bearbeitet und sogar verformt werden, um den strukturellen Anforderungen gerecht zu werden, insbesondere im Hinblick auf Deckengewölbe. Der Mangel an Bauholz in weiten Teilen Irans führt dazu, dass dort anstelle von Flachdächern Lehmziegelgewölbe und –kuppeln zu finden sind.
Neben den wohlbekannten historischen Monumentalbauten wie Palästen, Moscheen, Mausoleen und Karawansereien sowie den traditionellen Wohnhäusern weist die einheimische Bautradition verschiedene Typen von einzigartigen Nutzbauten aus Lehm auf, die bereits vor Hunderten von Jahren im Iran entwickelt wurden und noch heute zum Staunen anregen. Dazu zählen die mit erhabenen Kuppeln und häufig mit hohen, freistehenden Mauern ausgestatteten Eishäuser (Yakhchal), die kuppelüberwölbten und teilweise mit Windtürmen versehenen Wasserzisternen (Ab Anbar), die bollwerkartigen, meist runden oder kleeblattförmigen Taubentürme (Kabutar Khaneh), die markanten, die Stadtsilhouetten des zentralen Hochlands und des Süden Irans beherrschenden, oft reich verzierten Windtürme (Badgir) sowie die aus vertikalen Windrädern und Windfangmauern bestehenden, meist in Gruppen angeordneten persischen Windmühlen (Asbad) im Osten Irans.
© Agnes Küng-Schaub / www.iranreisen.ch