Stellt Euch vor, Ihr seid mit uns in Andalusien unterwegs oder in Griechenland und wir sitzen abends noch zusammen in einer urigen Kneipe, weit ab vom Schuss in einer jener Gegenden, wohin sich selten ein Tourist verirrt. Den Tag über sind wir gewandert, haben einen Adler bewundert, wie er über den Gipfeln der Sierra kreiste oder einem Mönch zugehört, der in seinem einsamen Kloster auf die Fresken des Kirchleins hingewiesen hat.
Bei einem Picknick im Schatten einer ausladenden Platane haben wir uns mit eingelegten Oliven, sonnengereiften Tomaten, einem luftgetrockneten Schinken oder altem Schafskäse aus dem Dorfladen gestärkt, sind verschwitzt und mit staubigen Schuhen in unser kleines Hotel zurückgekehrt, haben schnell geduscht, uns ein Stündchen abgelegt, ein Buch aufgeschlagen, einen Kaffee getrunken und einige andere der Gruppe in der winzigen Bar jenseits der Straße getroffen, wo uns ein paar neugierige Einheimische vielleicht gefragt haben, ob wir zu den Deutschen gehören, die bei Ramon oder Spiros untergebracht sind.
Jetzt sitzen wir nach dem Abendessen noch ein bisschen zusammen. Gebratene Auberginen und frittierte Zucchini gab es, Hähnchen mit Knoblauch, Ragout von der Ziege, handgeschnitzte Kartoffeln in jungfräulichem Olivenöl ausgebacken, geschmorte Okraschoten und Rindfleisch mit einem Hauch von Zimt, dazu einen Wein, der nie seinen Weg durch die Kontrollinstanzen der EU finden würde und trotzdem oder gerade deswegen kein Kopfweh verursacht am Tag danach. Für manche sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig; aber sind wir nicht gerade deswegen hierher gekommen? Der Kellner, der uns schon beim Frühstück den Kaffee nachschenkte und uns dieses sahnige Joghurt mit Berghonig empfahl, bringt uns nun einen Brandy oder Ouzo.
Spätestens dann wird die Frage gestellt, wie es eigentlich dazu kam, Avanti zu gründen. Und da beginnt die Geschichte, die Euch Hans-Peter erzählt, denn er ist ja oft dabei. »Euch« erzählt, denn zu diesem Zeitpunkt siezt sich keiner mehr in unserer Gruppe.
Sie handelt von zwei jungen Männern, oder zunächst einmal von einem, dann von zweien und dann kommen noch ein paar Männer dazu, auch Frauen. Mit Hans-Peter Christoph beginnt die Story zwangsläufig, und sie fängt an, wie er lange vor dem Abitur lieber die Erlebnisse von Henry Miller in Paris oder die in Spanien und Italien spielenden Romane Hemingways verschlang, als sich mit Cicero oder Catull zu beschäftigen, oder mit Parabeln und Kurvendiskussionen, zumindest nicht in Mathe. Das war in den Siebzigern, Che Guevara war so lebendig wie Karl Marx, in Griechenland wurden die Obristen verjagt und in Portugal gab es eine Nelkenrevolution, das »Kursbuch« war weitaus spannender als die Lektüre des Französischunterrichts.
Die Geschichte beginnt, wie der junge Mann nach dem Abitur im Zivildienst sich entschloss, Fernfahrer zu werden, anstatt sich an der Uni einzuschreiben. Wie er die iberische Halbinsel von Berufs wegen »erfuhr« und sich von Fabrik- und Landarbeitern in ihre Stammlokale mitnehmen ließ. Wie er als »Chauffeur Routier« in Paris lebte und die Hinterhöfe, die Industrievororte und die Ghettos der Einwanderer kennenlernte. Wie er auf der Balkanroute nach Griechenland oder in den Nahen Osten fuhr und auch hinter dem Eisernen Vorhang mitbekam, wie bestechlich die Polizisten, korrupt die Zöllner und mafiös die Zustände waren. Jahrelang war er in dieser Welt unterwegs und auf sich selbst gestellt, sammelte Eindrücke, Erfahrungen, Gefühlswelten. An »Lehrjahre sind keine Herrenjahre« dachte er, wenn angetrunkene oder psychisch kranke Staatsdiener ihre Macht ausspielten, und an »Wem Gott will seine Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt«, wenn Grenzen überwunden und er glücklich und euphorisch mit seinem Sattelschlepper in die Morgenröte des Orients donnerte.
Jetzt heißt es aufpassen, damit Ihr Erzähler den Faden nicht verliert und abschweift zum Fernfahrerleben zwischen Paris und Barcelona, Belgrad, Skopje, Damaskus und Athen, zu Streckenrekorden und serbischen Hochzeiten, Einsamkeit und Freundschaften, prügelnden Polizisten und betrügerischen Tankwarten, überladenen LKWs, Bakschisch, Treibstoffschmuggel und Wasserpfeifen. Denn Sie wollten wissen, wie es zu Avanti kam.
Mit dem ersten von vier Kindern beginnt der Abschied vom Vagabundenleben auf dem 38-Tonner und der »Erfahrung der Welt«. Es folgen Studium der Islamwissenschaften, Busfahrerjobs, um die junge Familie zu ernähren, schließlich Studienabbruch und eine Ausbildung zum Koch. Sesshaft wollte er werden, ein Restaurant führen, in das seine kulinarischen Erfahrungen von Portugal bis in den Nahen Osten einfließen sollten, denn nichts tat er unterwegs lieber, als in die Töpfe zu schauen und gut zu essen. So ging er in die Küche der »Enoteca« in Freiburg, um den Beruf des Kochs zu erlernen. Er schuppte Fische, zerlegte Lämmer und briet Tauben, tournierte Karotten und passierte Saucen, setzte Suppen an und goss Fonds auf, lernte Parfaits zu perfektionieren, schlug Eischnee und Sahne. Aber nach drei Jahren am Herd war es übermächtig geworden, das Fernweh, er musste wieder auf die Straße, in den Süden, Westen, Osten, seine bisherigen Erfahrungen sollten doch nicht nutzlos bleiben.
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Zu diesem Zeitpunkt trat Achim Clauß auf den Plan. Achim hatte mit anderen zusammen schon »TransChaos« betrieben, ein Busunternehmen, wie sie in jenen »alternaiven« Zeiten bundesweit aus dem Boden schossen, und Hans-Peter hatte dort gelegentlich als Busfahrer gearbeitet und erste Reisen organisiert. Jetzt kommen Sie dazu, einzuhaken und zu erzählen, dass Sie mit »TransChaos« schon unterwegs waren, vor 30 Jahren, und wie toll es damals war, als Sie mit Achim und Harald, heute »Busconnection«, und Sigi, der später »Gleisnost« gründete, nach Marokko fuhren. Wissen Sie noch?
Die Avanti-Geschichte handelt davon, wie die beiden, Achim und Hans-Peter, Ende der Achtzigerjahre, Anfang der Neunzigerjahre nach vielen Träumereien in der Küche ihrer WG den Entschluss fassten, ein eigenes Busunternehmen zu gründen, selbst Reiseveranstalter zu werden. Sie wollten es anders machen, nur anbieten, was sie vertreten konnten und nichts anderes, Selbstverwirklichung stand auf dem Plan, sie hatten genug durchgemacht und erlebt. Ihre Ideen, Wünsche und Vorstellungen waren klar, das grobe Konzept stand: Achim wollte Städtereisen anbieten und Hans-Peter dachte an große Touren in Länder, in denen er früher unterwegs gewesen war. »Selbstbestimmt und ohne Abhängigkeiten« war die Parole. Wie sie sich schließlich auf »Avanti« als Name einigten,»vorwärts, los geht’s«. Dass die Busse rot sein mussten, war bei »Avanti popolo« schon fast keine Frage mehr. Wie sie dann 1991 Geld für den ersten Bus zusammenborgten, weil keine Bank bereit war, dafür Mittel zu stellen; wie bald schon ein zweiter, ein dritter, ein vierter Bus notwendig wurde. Wie Achim Städtereisen fuhr und Hans-Peter erste große Touren umsetzte. Wie Doris und Karin im Büro glänzten, die Reisen mit Schulklassen und Gruppen an Bedeutung gewannen. Wie nette und interessante Menschen zu Avanti fanden und sich schöne Freundschaften entwickelten. Wie Klemens, Siegfried, Jean-Luc, Alain, Harald und Rolf neben ein paar anderen zu festen Größen in der Fahrerwelt wurden und die roten Busse immer häufiger vermietet werden konnten. Wie sie weitere Fahrer und Mitarbeiter einstellten, ein fünfter und sechster Bus dazu kam und Uli die Bürofrauen verstärkte. Wie Menschen durch Avanti neue Welten entdeckten und manches Leben sich veränderte. Wie es Differenzen über den weiteren Weg gab, Stefan und Alex zur Mannschaft stießen, ein siebter und achter Bus dazu kam und Hans-Peter und Achim sich nicht einig wurden, wie sie weitermachen wollten. Zu unterschiedlich waren ihre Vorstellungen und Ziele, Ansprüche, Pläne und Schwerpunkte mittlerweile geworden: Die Wege trennen sich 2002 und Achim konzentriert sich mit seinem »Parisliner« ausschließlich auf Wochenendreisen nach Paris.
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Hans-Peter entwickelt nun fort, was in Fernweh, Freiheitsdrang und Abenteuerlust wurzelt. Die großen Touren werden ausgebaut, 2003 fährt er in die Türkei, 2005 in den Iran und 2007 nach Libyen. Er erweitert das Angebot an Wanderreisen und integriert »Röhm Events«, einen alteingesessenen Opern- und Festspielreiseveranstalter in das Unternehmen. Sukzessive wird der Fuhrpark auf die besten 5-Sterne-Fahrzeuge von Setra/Daimler umgestellt, Nachtfahrten verschwinden weitgehend aus dem Programm. Avanti wird Mitglied beim »forum anders reisen«, einem Reiseveranstalterverband, der den Nachhaltigkeitsgedanken vertritt, bei der »Gütegemeinschaft Buskomfort« sowie Fördermitglied der »Slow Food« Bewegung. Als einer der ersten Reiseveranstalter überhaupt und bisher einziger Busreiseveranstalter begibt sich Avanti in einen aufwändigen Prozess für nachhaltigen Tourismus. 2010 werden wir mit dem Siegel »CSR tourism certified« für Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung im Tourismus zertifiziert.
2008 wird ein Reisetraum Wirklichkeit: Die Durchquerung von Europa und Asien mit dem Reisebus. Mit einer Gruppe von 24 abenteuerlustigen Busreise-Pionieren fahren Alain Lamy und Hans-Peter Christoph in 70 Tagen bis nach Peking, auf weiten Teilen der legendären Seidenstraße und den Spuren Marco Polos folgend. Avanti ist nun bundesweit bekannt. 2010 wird die Chinareise wiederholt, Ziel ist dieses Mal Shanghai. 100 Tage dauert die Tour um die halbe Welt und zurück, bis dato ein Langzeitrekord für Busreisen, der erneut für Aufsehen und Medienspektakel sorgt. Völlig unspektakulär, aber nicht minder interessant ist ein ganz anderes neues Projekt: Die »Heimatkunde« – Tagestouren in die Umgebung von Freiburg, ins Elsass und die Schweiz geht an den Start. Denn auch hier bei uns kann es sehr schön sein, das merkt man manchmal erst, wenn man von ganz weit weg zurückkommt.
Eine Zäsur bildet der Januar 2011, denn wenige Tage, bevor wir zur Umrundung des Mittelmeers starten wollen, bricht die Revolution in Tunesien aus, die kurz darauf auf Ägypten, Libyen und Syrien übergreift. 50 Tage sollte die lange geplante und gut gebuchte Reise dauern, die wir ohne lange zu überlegen absagen. Aber einer Gefahr für Leib und Leben setzen wir unsere Mitreisenden und uns nicht aus, und so verschieben wir den Traum der Mittelmeerumrundung mit dem Bus auf einen unbestimmten Zeitpunkt. Wir werden sehen.
2012 gibt es die ersten Fernbuslinien in Deutschland: Avanti ist als Pionier und Partner von »MeinFernbus.de« dabei, den Reisebus als ökologische, nachhaltige und kostengünstige Alternative zu Pkw, Zug und Flugzeug zu etablieren. Ein weiteres Standbein für unsere Selbständigkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit, so stellen wir uns das vor. Denn bislang waren Fernbuslinien in Deutschland verboten. »Fahr grün!« ist der Slogan von MeinFernbus, und so sind die zusätzlichen Avanti-Busse, die auf den neuen Linien laufen, grün statt rot lackiert. Nach zwei Jahren jedoch ziehen wir Bilanz und beenden im März 2014 unser Engagement. Mehr denn je konzentrieren wir uns voll und ganz auf unsere Reisen, nachdem wir 2013 das schier Unmögliche getan haben:
Die Erfahrung von über 35 Jahren auf den Straßen der Welt mit allen Höhen und Tiefen, die man als Fahrer, Reiseleiter, Organisator, Missionar, Arbeitgeber, Prügelknabe, Visionär, Veranstalter, Seelsorger, Mensch und Unternehmer durchlaufen kann, bildet das Fundament für ein echtes Großprojekt des Chefs, das ins Bewusstsein ruft, dass »die Welt viel zu schön ist, um darüber hinwegzufliegen«: 2013 startet die Busweltreise, die erste Erdumrundung mit einem Reisebus auf den Traumstraßen der Welt – und das über neun Monate lang. Noch nie dagewesen, verrückt, ehrgeizig, spannend, gesponnen, gewagt, in gewisser Weise simpel und konsequent naheliegend und doch so atemberaubend, dass man kaum daran zu denken wagt, was alles schiefgehen kann: neun Monate auf der Seidenstraße und der Panamericana im Bus um die Welt.
Es ist die größte denkbare Herausforderung für Mensch und Fahrzeug in der Geschichte der Bustouristik, die sich Hans-Peter ausgedacht hat. Alle Klimazonen, die höchsten Pässe der Welt und die unglaublichsten Schlaglochpisten werden befahren. Auf fünf Etappen sind bis zu 25 Abenteuerlustige gemeinsam unterwegs. Dschungel, Wüsten, Großstädte, Gebirge, Tiefebenen, Gletscher, Schnee, Eis, Sandstürme, sehr gute und unglaublich schlechte Hotels, missgelaunte Zöllner und unfassbare Gastfreundschaft, das alles gehört dazu. Usbekistan hält den Bus blockiert, die USA lässt ihn gleich gar nicht hinein, Erdrutsche versperren den Weg – aber für alles, was immer sich an Schwierigkeiten und Herausforderungen in den Weg stellt, findet sich eine Lösung … So sind wir Tag für Tag im Plan, präzise wie ein Schweizer Uhrwerk umrunden wir die Welt – neun Monate lang, ohne den von Außenstehenden befürchteten Gruppenkoller. Tolle Mitreisende, eine ausgefeilte Planung, ein super Team unterwegs und daheim, vielfältigste Unterstützung und eine gehörige Portion Glück machen den Traum wahr.
Aber auch die Erdumrundung mit dem Bus ist Geschichte. Aktuell sind wir viel in Europa unterwegs und gelegentlich in Südamerika, denn Manches, was noch kürzlich für uns selbstverständlich war, stellt sich heute als zu riskant oder gar unmöglich dar. Wo waren wir nicht schon mit dem Bus auf der Welt!? Nahezu überall, in Asien, Afrika, in ganz Amerika! Und heute? Eine Überland-Reise nach Libyen? Nach Syrien? Durch die Türkei in den Iran? Und das ist nicht einmal sehr weit weg! Vorbei. Nicht daran zu denken! So schade um all die Kontakte und Freundschaften, die sich in den Ländern ergeben haben. Nun bleiben wir also da, wo es sicher ist. Aber, und das garantieren wir Ihnen nach so vielen Jahren des Unterwegsseins: Kaum eine Gegend in der Welt scheint uns im Rückblick so spannend, interessant, kulturell vielfältig, sicher und erholsam, abwechslungsreich und kulinarisch so anregend wie Europa! Widersprüchlich wir nun mal sind, würden wir trotzdem gerne wieder weiter weg fahren.
Und genau das machen wir 2020: Eine Reise durch Europa und ganz Asien bis an den Pazifik. Aber nicht wie 2008, 2010 und 2013 entlang der Seidenstraße, sondern dieses Mal parallel zur Transsibirischen Eisenbahn. Eine Bus-Reise von Freiburg über St. Petersburg, Moskau, Novosibirsk, Ikutsk und den Baikalsee, zwischendurch mit einem Abstecher in die Mongolei, und weiter nach Osten, bis wir nach 45 Tagen in Wladiwostok ankommen.
So, wenn Ihr tatsächlich bis hier her gelesen habt, dann wisst Ihr, wie es zu Avanti gekommen ist. Hier endet der Rückblick auf die Historie, aber die Geschichte geht weiter. Sie dreht sich nun um Euch und Eure Reise, die Wiederholungstäter und Neuzugänge, alte und neue Touren, gesponnene Ideen, verwirklichte Träume, einmalige Abenteuer und was man noch alles tun könnte, um kleine Hotels und legendäre Abendessen in urigen Kneipen, weit ab vom Schuss, in Gegenden, wohin sich selten ein Tourist verirrt zu erleben.