22/09/2024
Der besseren Lesbarkeit wegen hier nochmal der Text des Nachrufes aus der HNA:
Der Meister des Klangs
Walter Sons war reich an Lebenserfahrung und Ideen für die Musik
NACHRUF VON FLORIAN HAGEMANN
Den Klangpfad im Park Schönfeld würde es ohne ihn nicht geben: Walter Sons ist nun mit 99Jahren gestorben.
Kassel.
Wo anfangen bei Walter Sons? Wo anfangen bei jemandem, der sovieles war: Ideengeber, Verwirklicher, Entdecker von Tönen, Musik-Professoran der Universität Kassel, Initiator des Klangpfands im Park Schönfeld, Grün-der der Ensembles Metallmusik und Glasmusik, Zeitzeuge, der in Schulen im-mer wieder aufklärte und so gegen das Vergessen ankämpfte? Wo alsoanfangen?
Vielleicht ziemlich am Beginn seines langen Lebens. Walter Sons wuchs inKassel auf, er wurde in einem der schönen Gründerzeithäuser an der Hohen-zollernstraße groß, die heute Friedrich-Ebert-Straße heißt. Direkt neben„Wein Müller“ hatte die Familie eine große Wohnung. Walter Sons hatte esnicht weit bis zur heutigen Albert-Schweitzer-Schule.
Während des Krieges meldete er sich freiwillig zur Kriegsmarine, um nichtzur Waffen-SS zu müssen. Noch im vergangenen Jahr berichtete Walter Sonsdem HNA-Redakteur Thomas Siemon von damals. Anlass war der 80. Jahres-tag der Kasseler Bombennacht. Die überstand das Haus in der Hohenzollern-straße unbeschadet.
Allerdings gab es auch im weiteren Verlauf des Krieges immer wiederschwere Luftangriffe auf Kassel – so auch im September 1944. Damals hatteWalter Sons gerade Bombenurlaub bekommen. Er kehrte zurück zu seinerFamilie, die zu dieser Zeit schon bei Bekannten in der Geibelstraße wohnte –neben der Martini-Brauerei.
Was dort geschah, hat Walter Sons selbst aufgeschrieben:
„Am nächsten Morgen kam ein Tankwagen in die Geibelstraße, um die Men-schen mit Trinkwasser zu versorgen. Während ich in der Schlange der Was-serholer wartete, berichteten einige Leute, dass im Radio Luftwarnung ver-kündet sei. Bald waren Flugmotorengeräusche, das Bellen der Flakgeschützeund das Pfeifen der ersten Bomben zu hören. Offensichtlich galt der Angriffden in unmittelbarer Nähe gelegenen Gleisanlagen und dem Hauptbahnhof... Ich rannte mit meiner Mutter die Treppen hinunter in den Keller. Dorthockte eine verängstigte ältere Frau, die froh war, nicht mehr allein in die-sem Inferno zu sein. Die anderen Hausbewohner hatten wohl noch den si-cheren Brauereikeller erreicht. Dann gab es ein furchtbares Krachen und Be-ben, das Licht ging aus. Eine Bombe musste das Haus getroffen haben. Ichtastete mich zur Kellertür, die ich mit Mühe einen Spaltbreit öffnen konnte.Der Weg nach draußen war verschüttet. Es gelang mir, den Mauerdurch-bruch zu öffnen und so mit den beiden Frauen durch einen Nachbarkellerins Freie zu kriechen.“
Später erfuhr Walter Sons, dass sein Vater bei dem Angriff ums Leben ge-kommen war. Er habe oft nachgedacht, so berichtete er, warum er damalsnicht weinen konnte. Der Hauptgrund sei wohl gewesen, dass er überzeugtwar, den Krieg nicht zu überleben.
Walter Sons überlebte.
Einer, der ihn später gut kennengelernt hat, ist Olaf Pyras, der heute Dozentfür Schlagwerk an der Universität Kassel ist. Er sagt, Walter Sons sei zeit sei-nes Lebens von großer Dankbarkeit erfüllt gewesen, dass er den Bombenan-griff auf Kassel, dass er den Krieg überlebt hat. Walter Sons’ Ehefrau Brigittebestätigt das.
Walter Sons widmete sich der Musik, wurde in seiner Heimatstadt Professor,stets auf der Suche nach etwas Neuem. Olaf Pyras spricht von Recherche-freude und Erkundungsdrang, wenn er über Walter Sons spricht. „Ich behalteihn in Erinnerung als jemanden, der sich inspirieren ließ und der sich mit denaktuellen Themen auseinandergesetzt hat.“
Walter Sons hatte immer die Idee, eine ganz eigene Musik zu machen. Mitganz eigenen Instrumenten. Aus Glas, aus Metall. Walter Sons war unermüd-lich, und er hatte neben den Ideen auch die Fähigkeit, sie durchzusetzen.Aber, so sagt es seine Frau Brigitte: „Er konnte auch nachgeben, wenn an-dere Recht hatten.“
Wer wissen will, wie Walter Sons auf die Musik blickte, der bekommt im ParkSchönfeld einen guten Eindruck davon. Dort ist der Klangpfad entstanden.Walter Sons hatte den Einfall, Kunst und Musik mit der Natur zu verbinden.2020 wurde das Projekt fertiggestellt. Für die Zeitung stellte Walter Sonsstolz die zehn Stationen vor – im Alter von 95 Jahren. Auch in diesem Jahrwar er noch einmal da. Der Weg dorthin war für ihn schon beschwerlich,aber er hatte wie immer seine Freude daran.
Vor rund sechs Wochen hat Olaf Pyras Walter Sons noch bei einem Konzertauf dem Uni-Campus getroffen. Er bot ihm an, den Fahrstuhl zu nehmen.Walter Sons aber lehnte ab. „Nö, nö“, habe er gesagt. Ende Juli feierte WalterSons mit seiner Frau noch Diamantene Hochzeit. „Es war der Höhepunkt un-serer Ehe“, sagt Brigitte Sons. Ein wunderschöner Tag, über den Walter Sonsdanach noch gern redete – in den Wochen, in denen er schwächer undschwächer wurde.
Walter Sons’ doch sehr erfülltes Leben endete am 2. September. Er wurde 99Jahre alt und hinterlässt neben seiner zweiten Ehefrau vier Kinder und dreiEnkel. Seine Frau Brigitte spricht von einem sehr schönen Leben mit ihm, er-innert sich an die Bergtouren einst mit Steigeisen in Österreich und an dasGlück, ihn an seiner Seite gehabt zu haben.