04/04/2021
Anno dazumal (Folge 62): Wie der Mandelbach zu seinem Namen kam und was das mit zwölf Eiern zu tun hat
Unsere Gemeinde Mandelbachtal wurde nach dem wunderschönen Tal zwischen Aßweiler und Habkirchen benannt, in dem auch die Hälfte unserer Ortsteile liegt. Das ist den meisten wohl bekannt.
Aber wissen Sie auch, woher der etwa 13 km lange Bach eigentlich seinen eigentümlichen Namen hat? Gab es denn früher mal tatsächlich Mandelbäume bei uns am Mandelbach?
Tatsächlich ist diese Theorie gar nicht so weit hergeholt. Im Süden der Pfalz, zwischen dem Oberrhein und der Haardt, herrscht ein so mildes, nahezu mediterranes Klima, dass dort auch exotische Pflanzen wie die Mandelbäume gedeihen. Jedes Jahr stehen sie dort im März und April in voller Blüte.
Es wird angenommen, dass diese Mandelbäume von den Römern mit in die Vorderpfalz gebracht wurden, als diese Gallien erobert hatten. Genau wie der Wein wurden die Bäume dann von den Besatzern eingeführt und systematisch angebaut.
So entstanden Sorten mit so klangvollen Namen, wie die rosa blühende „Perle der Weinstraße“ oder die weiß blühende „Dürkheimer Krachmandel“, die beide in der Pfalz sehr verbreitet sind. Nach der Ernte werden die Mandeln dann jedes Jahr zu beliebten regionalen Produkten verarbeitet, wie beispielsweise zu Mandelbrot, Mandelpralinen und Mandeleis.
So ist es auch kein Wunder, dass in der Pfalz viele Flurbezeichnungen nach der Mandel benannt wurden, wie zum Beispiel der „Gimmeldinger Mandelgarten“, die „Maikammerer Mandelhöhe“, der „Edesheimer Mandelhang“ oder der „Birkweiler Mandelberg“.
Warum sollte also nicht auch unser Mandelbach, der ehemals im Westen der Pfalz lag, seinen Namen von den Mandelbäumen haben?
Eine nette Theorie, aber sie ist leider völlig falsch. Zwar hatten die Römer den Weinanbau auch zu uns in den Bliesgau gebracht, allerdings gab es bei uns nie Mandelbäume, denn für diese war es in früheren Jahrhunderten bei uns einfach viel zu kalt.
Zu dieser Auffassung kommt auch Prof. Dr. Ernst Christmann (1895-1974) in seinem Buch „ Die Siedlungsnamen der Pfalz“. Als Sprachforscher hat er die Herkunft aller pfälzischer Siedlungsnamen, Flurnamen und Weinlagenamen untersucht.
Christmann verwarf die vorgenannte Theorie zur Namensgebung des Mandelbachs aufgrund von Mandelbäumen und orientierte sich stattdessen an ähnlichen deutschen Flurnamen, wie dem Örtchen „Mandelbeck“ bei Nordheim in Niedersachsen oder zwei Gewässern mit den Namen „Mandelbach“ in Baden-Württemberg.
Der Wissenschaftler kann zu dem Ergebnis, diese seien, genau wie die württembergischen Flächennamen "Mantelacker", "Mantelberg", Mantelhalde", "Mantelholz" und "Manteltal", auf das althochdeutsche „Mandala“ oder mitteldeutsche „Mandel“ zurückzuführen, womit man früher Föhren bezeichnete.
Föhren sind eine Pflanzengattung der Kieferngewächse, die sich auch auf unserem heimischen Kalkboden wohlfühlen. Allerdings lieben es die Föhren eher trocken. Überschwemmungen und Wasserstau mögen sie hingegen gar nicht.
Deshalb kommen sie bei uns am Mandelbach eigentlich überhaupt nicht vor. Von daher ist Christmanns Theorie für unsere Gegend nicht wirklich überzeugend, auch wenn sie von weiteren Sprachwissenschaftlern geteilt wird.
Was es hingegen am Mandelbach und auch an allen anderen Bächen in unserer Gemeinde sehr zahlreich gibt, sind Weidenbäume.
Eine davon ist - die „Mandel-Weide“. Dabei handelt es sich um einen kleinen Baum, der bis zu zehn Meter hoch werden kann. Sicherlich haben sie ihn schon oft in unserer Gegend gesehen.
Weil sich der Stamm der Mandel-Weide schon sehr früh verzweigt, hat er meist eine völlig unregelmäßige Baumkrone herausbildet. Könnten vielleicht diese Bäumchen die Namensgeber für unseren Mandelbach gewesen sein?
Die Rinde der Mandel-Weide ist an ihren jungen Trieben glatt und braun-grau, bei älteren wird sie aber schuppig und blättert teilweise sogar ab, so dass dort ein orange-braunes Muster entsteht. Seinen deutschen Name „Mandel-Weide“ trägt der Baum, weil seine Blätter denen von Mandeln zum Verwechseln ähnlich sehen.
Besonders schön sind übrigens jetzt im Frühjahr die Kätzchen an den Mandel-Weiden, die gleichzeitig mit den Blättern entstehen.
Noch häufiger als die Mandel-Weide findet man in unserer Gemeinde Kopfweiden und Korbweiden, oft auch Hybride, die sich aus der Korbweide und der Mandelweide gebildet haben. Die genannten Auengebüsche sind an fast allen Bachufern in unserer Gemeinde zu finden.
Diese Pflanzen fühlen sich nämlich auf unserem sickernassen, nährstoffreichen und basenreichen Kalkboden im Gegensatz zur Föhre ausgesprochen wohl. Auch Überschwemmungen machen ihnen überhaupt nichts aus.
In früheren Jahrhunderten waren die Ufer unserer Bäche regelrecht gesäumt von diesen Bäumen. So erscheint es also viel wahrscheinlicher, dass man den vorbeifließenden Bach aufgrund der zahlreichen Mandel-Weiden als „Mandelbach“ bezeichnet hat.
Dies aber nicht nur, weil die Kätzchen der Mandelweiden so schön anzusehen sind. Tatsächlich waren die Weiden für die Menschen im Mandelbachtal in vergangenen Jahrhunderten ein ganz wichtiger Rohstoff. Die Weiden wurden nämlich früher als Flechtweide zum Bau von Körben und Zäunen verwendet.
Über Generationen wurden aus den Ästen robuste und hübsche Körbe geflochten, denn mit der Arbeit mit Binde- und Flechtpflanzen waren unseren Vorfahren noch bestens vertraut.
Da die Mandel- und Kopfweiden bei uns von besonderer Qualität waren, wurden sie auch gerne mal von Leuten aus umliegenden Dörfern geklaut.
So wurde von gleich mehrere Zeitzeugen berichtet, dass Korbmacher aus Bierbach (die sogenannten „Bierbacher Kerrbcher“) gerne hin und wieder ihre Weiden auch verbotenerweise an unserem Mandelbach geerntet haben.
In dem von den Gebrüdern Grimm verfassten Deutschen Wörterbuch, das erstmals 1854 aufgelegt wurde, ist auch etwas zu der „Mande“ zu finden.
Als "Mande" oder "Mandel" bezeichnete man aus Weiden geflochtene runde Körbe in Form eines umgekehrten Kegelstumpfes, mit einem Bügel quer über dem Körbchen. Diese Korb-Art wurde seit der Keltenzeit als „Mandel“ bezeichnet.
Dies untermauert die These, dass unser schöner Mandelbach seinen Namen eigentlich von den Weidenbäumen an seinem Ufer erhalten hat. Nicht nur die Bäumchen heißen so, sondern auch die Produkte, die aus ihnen gemacht worden sind.
Darüber hinaus wurde laut den Gebrüdern Grimm sogar ein Bund Weidenzweige, aber auch dünne Garben Stroh oder Getreide, früher als Mandel bezeichnet
Interessant ist, dass der Begriff Mandel in früheren Jahrhunderten in unserer Region auch als Mengeneinheit gebraucht worden ist.
So sind die „Mandel“, also die kleinen geflochtenen Körbchen, von den Frauen im Bliesgau meist dazu verwendet worden, um abends im Hühnerstall die Eier einzusammeln. In der Regel gingen in eine Mandel genau ein Dutzend Eier. Eine halbe Mandel waren somit sechs Eier, wobei diese Körbchen entsprechend kleiner waren.
Nach Auskunft des Heimatkundlers Gunter Altenkirch setzten sich diese Einheiten auch in den Eierschränkchen der Arbeiter fort. Normalerweise fasste in deren Schränken das „Eierblech“ nämlich ebenfalls genau sechs oder zwölf Eier.
Auch die später industriell produzierten „Eierhörtchen“ aus Pappe enthielten früher noch zwölf Eier. Im benachbarten Lothringen ist dies übrigens teilweise immer noch so. Bei den kleineren Hörtchen ist es auch bei uns bis heute bei einer halben Mandel geblieben, also bei 6 Eiern.
Inzwischen haben sich in unserer modernen Gesellschaft die Lebensgewohnheiten so stark verändert, dass das Wissen um das Korbflechten und die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten der Weidenbäume an unseren Bächen weitgehend verloren gegangen ist.
Die Bezeichnung Mandel für selbst geflochtene Weidekörbchen ist inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten. In unseren Dörfern gibt es auch längst keine Korbflechter oder Besenbinder mehr.
Besenbäume und Flechtzäune, die früher prägende Elemente unserer Kulturlandschaft waren, sind völlig aus unseren Ortsbildern verschwunden.
Dabei ist die Kunst des Korbflechtens eines der ältesten Handwerke der Menschheit. Ohne Werkzeuge hatten sich in der Vergangenheit aus unseren heimischen Weiden viele nützliche Dinge für den täglichen Gebrauch herstellen lassen.
Unseren Vorfahren genügte das Wissen um die richtigen Pflanzen und die Geschicklichkeit ihrer Hände, um aus den heimischen Weiden schöne Körbe entstehen zu lassen.
Geflochten hat man bei uns im Mandelbachtal wahrscheinlich schon seit der Steinzeit, als die Menschen in hohem Maße auf das Aufsammeln und Aufbewahren der Nahrung angewiesen waren. Dabei waren die Flechttechniken der Steinzeit den später angewandten Techniken wohl schon sehr ähnlich.
Es liegt aber in der Natur des verwendeten Materials, dass nur sehr wenige Flechtwerke dem nagenden Zahn der Zeit standhalten konnten. Funde aus früheren Jahrhunderten sind daher rar, oft findet man nur noch Abdrücke der Flechtwaren im getrockneten Lehm oder Ton.
Ausgrabungen zeigen, dass selbst der Hausbau mit geflochtenen Wänden in unserer Gegend eine uralte Tradition hat. Stangenholz, rund oder gespalten, wurde senkrecht in den Boden gesteckt, und dazwischen wurden die dünnen biegsamen Weidenäste quer durchgewunden, sodass ein festes Flechtwerk entstand.
Mit Strohlehm beworfen und mit Lehm verputzt wurden so haltbare und gut isolierende Wände gebaut. An keltischen Nachbauten in den Ausgrabungen im benachbarten Reinheim lässt sich gut die Technik von geflochtenen Wänden erkennen.
Auf jedem Bauernhof wurden im Mandelbachtal früher Besen gebunden und Körbe geflochten. Der Bedarf an stabilen Wirtschaftskörben, Tragkörben und Aufbewahrungsgefäßen war groß, und vor allem die Altbauern und Frauen fertigten und reparierten in den Wintermonaten die so dringend benötigten Korbwaren.
Durch Zuschauen und Mithelfen lernten bereits die Kinder diese bäuerlichen Handwerke von klein auf. War der Eigenbedarf gedeckt, ließ sich damit auch ein wenig Geld dazu verdienen. Das war vor allem für die Kleinbauern und Tagelöhner in unserer armen Gegenden von Bedeutung. Sie waren im Winter auf ein finanzielles Zubrot angewiesen.
Unsere Vorfahren haben deshalb mit ihren Korbwaren auch die Märkte der umliegenden Städte, wie Blieskastel, Saarbrücken, St. Johann oder Zweibrücken beliefert. Als sich dann im Lauf des Mittelalters auch innerhalb der Stadtmauern Korbflechter ansiedelten, kam es hin und wieder sogar zu Konflikten.
Wenn nämlich die Zulieferung aus den Dörfern zu viel wurde, setzten sich die Stadtkorbmacher gegen die Überflutung der Märkte durch die stadtfremden Korbflechter zur Wehr.
Obwohl die Korbflechterei seit uralter Zeit eines der Haus- und Hofgewerbe unserer Vorfahren gewesen ist, das neben der bäuerlichen Arbeit in den Wintermonaten betrieben wurde, dauerte es bis ins späte Mittelalter, bis die erste Korbmacherzunft 1593 in Braunschweig gegründet wurde und damit das hauptberufliche Handwerk eine verbindliche Verfassung bekommen hat.
In heutiger Zeit hat das Aufkommen industriell gefertigter Körbe und Plastikgefäße das alte Handwerk des Korbflechtens längst unrentabel werden lassen. Plastikgefäße und im Ausland gefertigte Körbe sind heute so preisgünstig, dass keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr besteht, selber zu flechten.
So erinnern inzwischen nur noch die zahlreichen Mandel- und Kopfweiden in unserer Gemeinde an eine Zeit, in der diese Bäumchen und die aus ihren Ästen geflochtenen Körbe so wichtig waren, dass sogar der vorbeifließende Bach nach ihnen benannt worden ist.
Aus dem Bach wurde so der Mandelbach, aus dem Tal das Mandelbachtal und im Jahr 1974 aus unserer neugeschaffenen Gemeinde die Gemeinde Mandelbachtal. In früheren Jahrhunderten gab es auch mal einen kleinen Ort mit Namen Mandelbach. Aber von diesem wollen wir Ihnen erst ein anderes Mal erzählen…
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Lesen Sie auch die anderen Folgen unserer Reihe „Anno dazumal in Mandelbachtal – Spannende Geschichten aus der Vergangenheit“
Aufgrund des großen Interesses an dieser Serie werden alle bisher von Manfred Pfeiffer veröffentlichten Geschichten (und auch noch einige weitere) im Herbst diesen Jahres als gebundenes Buch erscheinen. Freuen Sie sich schon darauf.
Das Bild zeigt eine Mandel mit einem Dutzend Eier.
Foto: Gunter Altenkirch
Text: Manfred Pfeiffer