18/11/2020
UND AUCH DEIN BLUT WIRD'S SICH NEHMEN
Bei Hasselfelde – davon soll der Ort nämlich den Namen haben – lebte einst ein gefürchteter Räuber, der war so hasserfüllt, so seines Lebens müde, das niemand sich aufs freie Feld herauswagte, in Sorge man könne ihm über den Weg laufen. Dem nämlich, der ihm begegnete, dem würde nicht nur die Habe genommen, dem war der Tod gewiss!
Das aber war weiß Gott nicht immer so, denn der Räuber, dessen Blick töten konnte, war einst ein Mann mit übergroßem Herz gewesen. Immer hatte er einen lustigen Spruch auf den Lippen und stets lächelnde Augen, doch dann kam der schwarze Tod, der nicht fragte, wen er mit sich nehmen soll, sondern gefräßig hinwegraffte, was er in seine schmierigen, pestbeulenbesetzten Griffel bekam. Zuerst nahm er die Eltern des ehrbaren Mannes, dann sein Weib und auch das Liebste, sein Töchterlein, das dem Manne bis zuletzt, Mut ins schwere Herz gesungen hatte. … Wie die Pest vorbei war, fraß die Kirche den Zehnten und der Graf den Rest und ihm ward nichts geblieben, als das Messer, mit dem der beste Freund sich, in ähnlichem Leid, das Leben nahm.
Oh, dieses Messer, es hatte viel Blut gekostet. Das Blut, umherstreunender Teufelsanbeter, die verkleidet mit Kutte und Kruzifix des Weges kamen und das, blaublütiger Herren, dessen Körpersaft viel dünner als erwartet und von gleicher Farbe, wie bei jedem anderen Sterblichen war. „Und auch dein Blut wird’s sich nehmen, Kind, riecht der Räuber dich im Wind!“, mahnte das Mütterchen im Orte Hasselfelde, doch die Holde wollte nicht hören. „Lass mich gehen lieb Mutter, mich ruft’s hinfort. Seit drei Monden träume ich wohl jede Nacht denselben Traum: Ich trete dem Gefürchteten entgegen, erwidere seinen dunklen Blick und sterbe. Doch dann ist tiefer Frieden. Wenn das der Preis ist, dass du und alle leben, will ich’s wohl auf mich nehmen.“ So riss sie sich von der Alten los und ließ sie weinend, gebrochen auf den Knien zurück.
Pochenden Herzens schritt die junge Rose langsam übers freie Feld und dort, wo jetzt das Rosental liegt, lag der Räuber im Dickicht, lechzend, lüstern, flüsternd: „Seh ich dich mein Röslein gehn, Röslein auf der Heiden, bist so jung und morgenschön, lauf ich schnell dich nah zu sehn, oh, ich sehe dich mit vielen Freuden. Röslein, Röslein, Röslein rot, noch am Leben, doch bald tot …!“
Sie hatte längst gespürt, wie er sich hinter ihrem Rücken angeschlichen hatte, wie er mucksmäuschenstill sein Messer zog, doch für sie war es, als dröhne es in den Ohren. Wie sich das Mädchen umwand, unerschrocken, fast in froher Erwartung, da stockte der Hasserfüllte und sah ihr, wie in einer Blaupause durch ihre schillernden Augen mitten ins tausendschöne Herz hinein und sie sah ihn und sah durch all seinen Schmerz die sanfte Seele und ging auf ihn zu, mitten ins Messer hinein und küsste ihm den Zorn aus dem Sinn.
Sie starb tatsächlich, so wie sie’s im Traum gesehen hatte, doch war es nicht an diesem Tag. Der Räuber hatte beim ersten Anblick der mutigen Rose sein Messer und all seine Dornen fallen lassen. Sie starb in seinem Arm, im liebevollen Blick seiner tiefdunklen Augen, nachdem Beide bis ins hohe Alter froh zusammen lebten. Wie er ihren letzten Atemzug gewahrte, da dankte er ihr seinen Frieden. Sie hatte ihm diesen mit dem allerersten Blick geschenkt und Frieden war auch um Hasselfelde geworden und friedvoll lächelnd ging auch er, nachdem er ihr die graue Haarsträhne, diese widerspenstige, wie abertausend mal zuvor, aus dem elfenschönen Angesicht strich.
Noch heute wächst an jener Stelle, an dem sie Arm in Arm ins Jenseits gingen, ein uralter, sich stets erneuernder Haselnussbaum. „Wer will nach Hasselfelde mal, der setze sich beim Rosental unter den Hasel zum Lauschen. Wer weiß, was die Blätter in tausenderzahl, ihm von der Liebe vorrauschen!“
(einem alten Hasselfelder abgelauscht & aufgeschrieben von Carsten Kiehne)