30/10/2024
Herbstliche Runde im Spitalhof von Rothenburg ob der Tauber.
Zum Spitalhof haben wir auch einen Blogbeitrag verfassen können:
Wer in Rothenburg ob der Tauber leichthin vom Spitalviertel redet, der meint den schmalen Streifen im Süden der Altstadt, der sich ab dem Siebersturm entlang der Spitalgasse bis zur Spitaltorbastei zieht. Aufgrund seiner Form nennen viele Rothenburger diesen Teil der Altstadt auch Kappenzipfel. Mit dem eigentlichen Bereich des 1280 gegründeten Spitals hat das gesamte Viertel sicherlich nur aufgrund der örtlichen Nähe einen Zusammenhang. Der Verlauf der Spitalgasse erklärt sich über das damalige Netz der Handelswege, die durch Rothenburg führten. Unter anderem das Spital diente hier freilich als Herberge für Pilger und Reisende.
Das eigentliche Spital entsteht auf einem klar eingrenzbaren Raum, der in den Gärten neben der Heilig-Geist-Kirche beginnt und sich über die heutige Stöberleinsbühne – damals wohl zum Obstanbau genutzt – bis zur Stadtmauer und zum Stöberleinsturm erstreckt. Nach Süden grenzen das heutige Pflegeheim sowie die Stadtmauer an der Reichsstadthalle das eigentliche Spitalgelände ab. Bis 1375 liegt das Spital extra muros, also außerhalb der Stadtmauer. Erst dann wird es mit der zweiten Erweiterung der Stadtmauer gen Süden in die Stadt eingebettet, bleibt aber eigenständig.
Hat man die örtlichen Begebenheiten präzisiert, so kann man mit jenen Fehlannahmen aufräumen, die sich über die Jahre verstetigt haben: das beginnt mit dem Begriff des Pesthauses, einem kleinen Wohnhaus, das sich im Innenhof des Spitalgeländes gleich am Brunnen in eine Ecke schmiegt. Mitnichten wurden in diesem Haus jemals Pest- oder Leprakranke behandelt, niemand baute in diesem Bereich so nahe an der Stadt und der gleich benachbarten spitaleigenen Brauerei (heute ein Teil der Jugendherberge Rothenburgs) eine Station zur Pflege von hochansteckenden Todkranken. Dies geschah vielmehr an einem weiteren Bereich, der zum Spitaleigentum gehörte: an der Kirche St. Leonhard im Süden Rothenburgs (bei Rothenburgern nennt sich das Wohnviertel aus den 1960ern und 1970ern schlicht „Bleiche“) befand sich jene Einrichtung, die sich um solche Fälle kümmerte.
Es ist also nicht so einfach wie es zunächst scheint, mit dem Rothenburger Spital. Als karitative Einrichtung lässt es wohl am ehesten definieren: Wie das Dominikanerinnenkloster, so wurde auch das Spital von einem Landadligen gegründet, sogar von einem Verwandten der von Nordenbergs: Luitpold von Weiltingen besetzt in Rothenburg das hoch angesehene Amt des Reichsschultheiß, er ist damit der direkte Vertreter des Kaisers in der Stadt. Diesen Einfluss will er seiner Familie langfristig sichern und er ruft 1280 die Stiftung zum Heiligen Spital in Rothenburg ins Leben. Diese ist als religiöse Bruderschaft organisiert. Sie ist nicht wie bei den Dominikanerinnen oder den Franziskanern oder wie beim Deutschen Orden mit anderen Heilig-Geist-Spitälern verbunden. Mit den Heilig-Geist-Spitälern wie zum Beispiel jenen in Nürnberg oder dem Bürgerspital in Würzburg hat sie organisatorisch nichts zu tun. Freilich beruft man sich auch im Spital von Rothenburg auf den Spitalorden vom Heiligen Geist, der in Rom seinen Hauptsitz hatte. Die Vielzahl der Gründungen von Spitälern zu jener Zeit ist eine Art Modeerscheinung. Es ist also en vogue, dass sich Adlige über ihre Stiftung vor Gott einen Bonus holen wollen. So sind auch viele der Geldgeber des Rothenburger Spitals Adlige aus der Region. Unterstützt wird Luitpold von Weiltingen zudem von den Bürgern Rothenburgs, die sich mit dem Spital einen weiteren ökonomischen Schub erhoffen.
Denn das Spital wächst schnell zu einem Wirtschaftsunternehmen heran. Neben den noch heute sichtbaren Besitzungen in der Stadt mit dem einstigen Ochsenbau am heutigen Pflegeheim, einer Schweizerei (heute würde man sagen: Molkerei) und der Scheune (der heutigen Reichsstadthalle) besitzt das Spital 120 Orte im Raum Rothenburg: Von der Landwirtschaft auf den fruchtbaren Ackerböden der Hohenloher Ebene über die Forstwirtschaft und die Teichwirtschaft bis zum Weinbau mischt das Spital überall mit, wo es Geld zu verdienen gibt. Sichtbares Erbe des Spitals sind der Schandhof an der Straße nach Feuchtwangen, wo früher Schäfer lebten. Ein weiterer Hof war das Gut Schöngras bei Spielbach. Betreut werden diese Güter vom Spitalbereiter, der im ersten Stock des heute fälschlicherweise als Hegereiterhaus bekannten, 1591 erbauten malerischen Gebäudes lebt. Im Erdgeschoss befindet sich die Küche, die für alle Angestellten sowie die Pfründner des Spitals die Speisen zubereitet.
Und hier sind wir wieder beim eigentlichen (karitativen) Zweck auf den auch der Begriff „Spital“ als Pflege- und Altenheim zurückgeht. Ein Kaplan und vier Vikarer, also geistliche Mitarbeiter, kümmerten sich um das seelische Wohl. Die ins Spital integrierte Heilig-Geist-Kirche gilt als ihr Arbeitsplatz. Zudem werden vom Spital Lehrer, Mediziner und Knechte beschäftigt. 120 Angestellte sind es in der Spitze insgesamt, wenn man die Arbeiter auf den Gütern mit hinzurechnet. Hinzu kommen abhängige und unabhängige Landwirte, die gepachtetes Land der Stiftung bewirtschaften. Die „Pfründner“ sind jene Menschen, die sich monetär in das Spital einkaufen, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. 50 Pfründner leben in der Spitze im Spital, das einer strengen religiösen Ordnung unterliegt. Dazu kommen noch Arme und Kranke, die sich als Armenpfründner bewerben müssen. Ein Beispiel ist Anna Barbara Roh, geb. von Berg, die im Mai 1720 nach dem Brand der Steinmühle um Aufnahme bittet: „Nun mich vorhin blutarme Tröpfin leyder! Zu meinem größten Herzens Jammer dieses erschreckliche Unglück auch betroffen, indeme ich diejenige wenige haabschafft, so ich theils von meiner seeligen Mutter Anna Barbara vom Berg, theils abervon meinen Schwieger Eltern Auff der Schmalnbacher Mühl geerbet, und solches meinen 2 Söhnen aigentlich zuständig gewesen, bey meiner Schwägerin in besagter Steinmühlen zur Verwahrung stehen gehabt, einfolglich solche wie alle andere Effecten im feuer und rauch auffgegangen, also daß ich verunglückte arme verlaßene Wittib nunmehro in meinem von Gott zugeschickten großen Creuz, Trübsahl und Elend bevorab da ich nicht das geringste heraußgebracht, nicht weiß, wo ich mich nunmehro hinwenden soll, alß zu meiner hochgebietenden Obrigkeit, unter deren Schuz und Schirm das Geschlecht vom Berg schon viele unerdenckliche Jahre gewohnet und hiesig gemeiner Stadt ein Ehrliches contribuiret, auch solches meiner seeligen Eltern biß an ihr Ende gethan haben, vor alle arme tragenden Barmherzigkeit, Gnade und Guthat, in der getrosten Zuversicht, daß ich auch alß ein Stattkind mit dieser de- und wehmüthigsten Bitte nicht leer außgehen – sondern mit gnädlichen Augen angesehen werde; dahero an Ewer Gnädlichen und hochadlichen Herren Herren mein wiederhohlt, inständigst und höchsflehentliches Ansuchen ergehet, Sie gnädig- und […] geruhen wollten, sich diesen meinen in Waarheit gegründeten großen Jammer Standt zu Herzen gehen zu laßen, und mit alß einem erlebten Ehrlichen Bürgerskind, welches nicht durch sein Verschulden, sondern durch ohnvermuthes von Gott zugeschicktes Unglück und Feuer in den bittren Bettelstab gesezt worden, eine Pfründ in gnaden angedeyen zu laßen, allermaßen ich durch den außgestandenen großen Schrecken in meinem Leib mich ganz matt und fast contract befinde, auch mich durch Vergiesung vieler Thränen über mein eingebüstes und sauer ersparten Wittiben Bißlein bishero abgejammert und bekümmert, daß ich fast nicht mehr imstande, einer Arbeit, worzu insonderheit Leibst Crafften erfordert werden, hinkünfftig vorszustehn;“
Das Spital ist somit eine soziale Einrichtung mit einem religiösen Kern. Dieser geht auch nicht verloren als im 15. Jahrhundert die Bürgerschaft von Rothenburg das Spital wirtschaftlich übernimmt. Ab jener Zeit gilt das Spital quasi als städtisches Unternehmen, das von den so genannten Pflegern (heute würde man sagen: einem Aufsichtsrat) kontrolliert wird. Dieser setzt sich aus den Bürgermeistern der Stadt und weiteren Mitgliedern im Stadtrat zusammen. Finanziert wird es neben den (land)wirtschaftlichen Einnahmen und den Eingaben der Pfründner auch von den Spenden der Gläubigen vor Ort und der Pilger, die hier aufgenommen werden. Eine besondere Bedeutung kommt dem Spital während der Reformationszeit zu, als der Deutsche Orden in Rothenburg zunächst weiter in St. Jakob das Sagen behält und die evangelischen Bürger Rothenburgs zunächst in der Kirche Heilig-Geist ihre Heimat finden. Spitaldiakon Primus Truber fand so nach der Vertreibung aus dem heutigen Slowenien hier ein Tätigkeitsfeld. In Slowenien kennt Truber noch heute jedes Kind, gilt er doch als Begründer der slowenischen Schrift.
Das Spital bleibt bis in das 19. Jahrhundert relevant. Der letzte, namentlich so betitelte Spitalbereiter ist Johann Melchior Krämer, der das Amt 1800 antritt. Als Rothenburg kurz danach an das Königreich Bayern fällt, firmieren die neuen Herren der Stadt die Rolle kurzerhand um: Ökonom heißt der wirtschaftliche Leiter des Spitals fortan. Und die Besitzungen des Spitals nutzen die neuen bayerischen Herren zur Tilgung der (Kriegs-)Schulden. 1808 wird hier trotz allem ein kleines Krankenhaus gegründet, welches die Stadt Rothenburg über die Spitalstiftung betreibt und welches als Vorgänger zur heutigen Klinik an der Ansbacher Straße gelten darf.
Noch bis heute wird das Gelände als Bürger- und ein Pflegeheim genutzt. Zudem befinden sich hier die Reichsstadthalle und ein Wohnheim für die Schüler der Berufsschule. Alle Gebäude gehören über die „Spitalstiftung“ der Stadt, auch der städtische Förster freut sich über das Erbe des Spitals: Rund 800 Hektar des städtischen Forstbesitzes gehen auf das Spital zurück.