15/11/2022
Das Ghetto in Venedig
Etwa seit dem Jahr 1000 wurden von christlicher Seite Regeln eingeführt, die das Zusammenwohnen von Christen und Juden verboten (Synoden von Narbonne 1050, Laterankonzil 1179, Breslau 1267, Valencia 1338). Es entstanden Judenquartiere oder -gassen, die von allen Seiten von Mauern umgeben und nachts durch Tore geschlossen wurden.
Ghettos gab es vor allem in Italien, Spanien, Portugal, Deutschland und Österreich. In der Zeit der Gegenreformation verstärkten sich die Tendenzen zur Segregation; so wurden etwa 1555 alle Juden Roms in ein streng abgegrenztes Quartier gebracht, das als letztes Ghetto erst 1870 eröffnet wurde.
Bereits im 14. Jahrhundert finden sich Zeugnisse, dass Juden regelmäßig in der Stadt Venedig anwesend waren. Der Aufenthalt war aber immer auf kurze Zeiträume begrenzt und eine dauerhafte Ansiedlung wurde mit Nachdruck unterbunden. Eine jüdische Niederlassung entwickelte sich in Mestre, auf dem venezianischen Festland. Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts änderte sich die Haltung des venezianischen Senats. Im Jahre 1503 gestattete er den Inhabern der drei in Venedig tätigen Pfandleihhäuser aus Mestre, sich für die Dauer von zehn Jahren in der Stadt selbst niederzulassen.
Venedig sah sich zu dieser Zeit einer feindlichen Koalition gegenüber, in der sich das Heilige Römische Reich, Frankreich, Aragon, England, Ungarn und der Papst zusammengefunden hatten. Die „Liga von Cambrai“ wurde in Venedig als existentielle Bedrohung wahrgenommen, und deshalb kam es zur AnsiedlungsErlaubnis: mit dieser Maßnahme sollten nicht nur die jüdischen Bankiers, sondern vor allem die Pfänder ihrer christlichen Kreditnehmer vor dem Zugriff der Feinde geschützt werden. Als die Kriegshandlungen 1509 dann zum Ende kamen, wies der Senat die Bankiers jedoch nicht wieder aus, sondern verlängerte ihre Aufenthaltsgenehmigung, sowie erneut im Jahr 1513.
Im 1515 wurde im Senat neu diskutiert, dass es für die Stadt finanziell von Vorteil sei, wenn man den Juden die Niederlassung in Venedig gestatten würde.
Im Jahre 1515 wurde als Ort für eine Ansiedlung die Insel Giudecca erwogen, doch die jüdischen Vertreter lehnten ihn als zu unsicher ab. Im folgenden Jahr entstand ein Wohnquartier für die Juden auf einer Insel in der Vorstadt Cannaregio, auf dem Gelände einer ehemaligen Gießerei. Darin liegt auch der Ursprung des Wortes „Ghetto“
Der Begriff „Ghetto“ ist untrennbar mit der jüdischen Geschichte Venedigs verknüpft. „Ghetto“ hat aber auch eine über Venedig hinaus weisende Bedeutung: Das Wort wird schon im 16. Jahrhundert in anderen italienischen Städten übernommen, um die Wohnviertel der jüdischen Bevölkerung zu bezeichnen. Die Französische Revolution – die unter Napoleons Führung nach Italien einmarschierenden französischen Truppen – sah „Ghetto“ als Inbegriff der alten Zeit, der feudalen Trennung zwischen Christen und Juden, die jetzt endgültig überwunden sei. In Padua wurde 1799 feierlich die Straße zum Ghetto in „Via Libera“ umbenannt. Doch das Ende des Ghettos war noch nicht gekommen: Nach dem Sturz Napoleons wurden in vielen Städten die alten Schranken wieder errichtet, und selbst als alle formalen Trennlinien zwischen Juden und Christen allmählich aufgehoben wurden, wurde „Ghetto“ in ganz Europa und im 20. Jahrhundert dann auch weltweit zum Symbol.
Kaiser Leopold I. von Habsburg errichtete 1693 das Ghetto in Triest. Es wurde zunächst am Trauner Hof untergebracht. Drei Jahre später forderten die Juden einen größeren und zentralen Platz, weshalb das Ghetto in den Stadtteil Riborgo, hinter der heutigen Piazza Unità, verlegt wurde. 1781/82 stellte Kaiser Joseph II. das Toleranzpatent aus, das den Juden bereits mehr Freiheiten als während der Zeit des Ghettos verschaffte. Endgültig abgeschafft wurde das Ghetto dann 1785 . Um 1900 war die jüdische Gemeinde von Triest auf circa 5000 Mitglieder angewachsen, 1912 wurde die große Synagoge in der via San Francesco - eine der größten in ganz Europa - feierlich eröffnet.