26/08/2015
Da war sie wieder die Tradition: In diesem Jahr galt es für knapp 6.000 Langstrecken-Rennradfahrer (auch Randonneure genannt) die körnerzehrenden Hügel zwischen Paris und Brest 2x innerhalb von maximal 90 Stunden zu überwinden.
Paris-Brest-Paris ist der Kultklassiker schlechthin, der sich auch gern als der Wegbereiter der Tour de France nennt.
Auch Hermann Kerger (alias Wolfram Nolte) & Friends machten sich auf den Weg nach Paris, um nach der absolvierten Qualifikation im Jahr 2015 (200, 300, 400 + 600km-Fahrt) an dem Traditionsevent teilzunehmen und die fast legendäre Volksfeststimmung entlang der Strecke zu erleben.
Trotz mäßiger Vorbereitung und diverser körperlicher Gebrechen 😉 wagten sich Wolfram Nolte und Werner Hartmann gemeinsam neben Jan Beukenberg, Patrick Meid und Patrick Stalherm auf die 1230km lange Strecke, die mit etwa 12.000 Höhenmetern erst einmal nicht so bergig klingt. Diese Naivität sollte natürlich bestraft werden und zwang die beiden Randonneure nach etwa 390km im hübschen Ort Quedillac zu einer 4-stündigen Schlaf- und Verpflegungspause.
Erstaunlich ausgeruht, ging es am nächsten Morgen um 4:00 nach einer sehr bequemen Nacht im Turnhallen-Bettenlager weiter. Um 5:30, also 24h nach dem Startzeitpunkt konnten dann bereits deutlich über 400 gefahrener Kilometer statistisch erhoben werden. Das war eine tolle Motivation, denn für die dilettantische Trainings- und Organisationsvorbereitung konnten beide mit dieser Schnittgeschwindigkeit mehr als zufrieden sein. Bei Sonnenaufgang galt es dann zu zittern und zu schlottern, denn in einer Talsenke hatte sich scheinbar der Winter verlaufen und sorgte mit Temperaturen um 4°C für eine frostige Stimmung. Die höher steigende Sonne und das Wissen darum, den Atlantik im Tagesverlauf zu erreichen ließ die Hüllen fallen und beide bereits am Vormittag in kurz/kurz weiterfahren.
Wer sich nun auf eine tolle und blumige Schilderung der Erreichung von Brest und des Atlantiks freut, der wird enttäuscht, denn ausser der durchaus imposanten Überquerung des "Brest-Fjords" auf der alten Brücke ist kaum eine nennenswert schöne Erinnerung zurück geblieben und das liegt nicht am mangelnden Erinnerungsvermögen. Ein ebenso enttäuschender Aufenthalt in der Kontrollstelle Brest sorgte für eine schnelle Weiterfahrt. Die wurde dann dadurch belohnt, dass der mit 384 schwindelerregenden Metern höchste Tour-Punkt namens Roc'h Trévezel total verkehrsarm war und bei bestem Wetter eine atemberaubende Aussicht bieten konnte. Nach dem Einbau einer selbst entwickelten Papier-Schuh-Einlage waren bei Werner dann auch endlich die nervenraubenden Fussschmerzen passé und beide konnten förmlich bis nach Loudéac fliegen, um den bisherigen langsamen Tagesschnitt deutlich zu verbessern. Die dann folgende Nacht im Bettenlager endete sehr fröstelnd, denn die nettgemeinten Feldbetten sorgten für übermäßige Belüftung und Auskühlung der geschundenen Randonneuerskörper ;-)
Nach Anbruch der Morgendämmerung standen nun noch über 400km zur Diskussion. Zur Diskussion deswegen, weil man ab etwa 800km eher einen funktionierenden Kopf als einen funktionierenden Körper braucht... Ok, das ist jetzt etwas übertrieben. Über den Tagesverlauf war es dann aber absehbar, dass wir die Diskussion gegen die blöden 440km sowieso nicht gewinnen würden und so malten wir uns wenigstens ein gelungenes Anstoßen mit zwei französischen Pils auf Werners Geburtstag aus, der in der folgenden Nacht um 0:00 beginnen sollte. Da wir uns bis dahin landschaftlich durch vergleichbares Terrain bewegen sollten, wie wir es aus Norddeutschland und seinen Mittelgebirgen kennen, spule ich jetzt etwas vor: Am Nachmittag bei Kilometer 1000 konnte ich Werner bereits die Glückwünsche zu seiner ersten 1000km-Nonstop-Fahrt aussprechen. Die nächsten Glückwünsche folgten dann um Mitternacht irgendwo auf einer Landstraße zum Geburtstag, als wir uns nichts sehnlicher wünschten, als endlich in der nächsten Kontrollstelle anzukommen. Gegen 2:00 war es dann endlich soweit. Mit einem "Plopp" öffneten sich zwei Flaschen Bier, um auf Werners Geburtstag endlich anzustoßen.
Der Weg ins nahegelegene Bettenlager war förmlich gepflastert von schlafenden, etwas merkwürdig riechenden Gestalten, die es scheinbar nicht mehr bis zur rettenden Iosmatte mit Decke geschafft haben. Nach kurzer Diskussion über die bevorstehende Weckzeit schliefen wir beide tief und fest. Wie ich mich schon von anderen Fahrten kenne, bin ich vor der Weckzeit aufgewacht und mich überkam augenblicklich eine Unruhe, endlich weiterfahren zu müssen.
Ob sich Werner nun eher von mir oder seinem Geburtstag ungerecht behandelt fühlte, hinterfragte ich nicht, sondern weckte ihn unmissverständlich mit den Worten: "Ich fahre jetzt weiter!" Gesagt, getan - nach einem äußerst spärlichen Frühstück pedalierten wir gemeinsam und etwas missmutig in den dunstigen Morgen hinein. Die tagesanfänglichen Wehwehchen waren heute besonders unfreundlich und schienen unsere Laufräder irgendwie zu blockieren. Nach knapp 1 Stunde und gerade mal 14 absolvierten Kilometern verschwand bei mir die Blockade bei dem Gedanken, Paris vielleicht doch noch unter 80 Stunden zu erreichen. Das ist zwar nichts wert, aber irgendwie sorgte es bei mir für gute Laune und eine kaum zu beschreibende Motivation. Geplagt von Gewissensbissen, ob wir uns nun so kurz vor dem Ziel noch trennen können, erkannte Werner wohl meine Zwickmühle und schickte mich sofort vor. Der kurz darauf einsetzende Schlagregen mit Straßenüberflutungen und besonders ekligen Böen war das Zeichen, endlich von der Strecke zu verschwinden und trieb uns förmlich ins Ziel, welches wir schlussendlich in knapp unter und knapp über 80 Stunden erreichen konnten.
Endlich im Ziel angelangt können wir festhalten, dass es für uns ein einmaliges Erlebnis bleibt und nicht nach einer Wiederholung schreit. Andere Länder, andere Sitten wird es dann wohl in 2 Jahren bei der Tour LEL "London-Edinburgh-London" über 1.400km heißen... Für mich wird es eine Wiederholung, für Werner eine weitere Premiere :-)